Der ICT-Fachkräftemangel trifft nicht nur die gesamte IT-Branche, sondern alle Sektoren und ist ein Risiko für die Sicherheit. Es lohne sich daher, die Diversität zu fördern, ist Serge Frech, Geschäftsführer von ICT-Berufsbildung Schweiz, überzeugt. Laut Prof. Sarah Hauser, Vizedirektorin Ausbildung am Departement Informatik der Hochschule Luzern (HSLU), ist auch die gezielte Ausbildung von Mitarbeitenden essenziell – etwa im Bereich Cybersecurity.


Bis im Jahr 2030 fehlen laut einer Studie von ICT-Berufsbildung in der Schweiz rund 120’000 zusätzliche ICT-Fachkräfte. Welche Konsequenzen hat das für die IT-Security?

Serge Frech: Die Anzahl an Cyberangriffen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Das Thema Cybersecurity hat mit der Digitalisierungswelle während der Coronapandemie an Bedeutung gewonnen. Somit nimmt auch die Nachfrage nach spezialisierten Fachkräften weiter zu – und zwar schneller als die Wirtschaft und Verwaltungen ausbilden können.

Serge Frech, Geschäftsführer, ICT-Berufsbildung Schweiz im Interview mit AVANTEC AG
Serge Frech, Geschäftsführer ICT-Berufsbildung Schweiz

Sarah Hauser: Daraus ergeben sich drei Möglichkeiten, zu reagieren: Die Firmen können sich gegenseitig mit noch höheren Löhnen überbieten, um an Fachkräfte zu gelangen. Sie können aber auch IT-Expert:innen einstellen und in spezifische Kurse oder Ausbildungen schicken – oder selbst Expert:innen mit internen, mehrmonatigen Programmen ausbilden. Wir beobachten, dass alle drei Optionen in der Wirtschaft genutzt werden. Entsprechend ist auch die Nachfrage für unser 2018 lanciertes Bachelor-Studium in «Information & Cyber Security» gross. Aktuell zählen wir über 300 Studierende.

Prof. Sarah Hauser von der Hochschule Luzern (HSLU) im Interview mit AVANTEC AG
Prof. Sarah Hauser, Vizedirektorin am Departement Informatik der Hochschule Luzern (HSLU)

Herr Frech, welche Auswirkungen hat der Fachkräftemangel auf bestehende Sicherheitsteams?

S.F.: Unseren Berechnungen zufolge werden in der Schweiz bis 2030 rund 60 Prozent mehr ICT-Security-Fachkräfte als heute benötigt. Fehlen die Fachkräfte, die präventive Massnahmen ergreifen und Angriffe abwehren können, steigt das Risiko für Cyberangriffe. Die Sicherheitsteams sind überlastet und weniger leistungsfähig. Und dies erhöht die Vulnerabilität der entsprechenden Systeme oder gar von kritischer Infrastruktur.

Was macht ein attraktiver ICT-Arbeitgeber – nebst eines guten Lohnes – aus?

S.F.:  Die Löhne sind bereits auf einem hohen Niveau, daher sind es vor allem gute Rahmenbedingungen wie flexible Arbeitszeiten oder Teilzeitmodelle und bezahlte Weiterbildungen, mit denen Arbeitgeber überzeugen. Zudem kommen wir nicht mehr umhin, Diversität stärker zu fördern. Der Frauenanteil liegt in der ICT bei schlappen 17 Prozent. Generationenübergreifend ist heute auch die Sinnhaftigkeit der Arbeit. Dazu gehört, dass sich der Arbeitgeber auch in der Nachwuchsförderung engagiert.


Die Vielfalt der Informatik ist sehr attraktiv für Frauen, dasselbe gilt für das moderne und agile Arbeitsumfeld mit flexiblen Arbeitszeitmodellen.

Prof. Sarah Hauser, Vizedirektorin am Departement Informatik an der Hochschule Luzern (HSLU)

Wie schaffen wir es, mehr weibliche Fachkräfte für die IT-Security zu gewinnen?

S. F.: Das Problem beginnt früh, ist sehr vielschichtig und auch gesellschaftlicher Natur – das macht es nicht einfach. Es braucht Massnahmen auf verschiedenen Ebenen, damit mehr junge Frauen den Weg in die ICT einschlagen – in der Schule, der Berufsberatung, in den Ausbildungsbetrieben, um nur einige Beispiele zu nennen.

Der Vorstand von ICT-Berufsbildung Schweiz hat vor kurzem ein Konzept erlassen, das die Stellschrauben und Massnahmen im Handlungsbereich des Verbandes definiert. Diese reichen von einer Studie zu den emotionalen Beweggründen in der Berufswahl über kommunikative Massnahmen hin zu organisatorischen, wie etwa in der Berufsentwicklung oder beim Frauenanteil in den Gremien unseres Verbandes. Wichtig sind dabei auch Kooperationen mit anderen Organisationen, die dasselbe Ziel verfolgen – im Security-Bereich beispielsweise die Initiative «Women in Cyber Switzerland».


Frau Hauser, wie gestaltet sich die Quote bzgl. Frauen und Männern derzeit an der HSLU?

S. H.: Am Departement Informatik liegt der Frauenanteil bei den Bachelor-Studierenden bei rund 20 Prozent. Die Studiengänge «International IT Management» und «Digital Ideation» weisen einen Anteil von 30-50 Prozent Frauen auf. Der Trend ist zunehmend.

Wie gelingt es bei Ihnen, an der HSLU mehr Frauen für die IT-Security zu begeistern?

S. H.: Die Vielfalt der Informatik ist sehr attraktiv für Frauen, dasselbe gilt für das moderne und agile Arbeitsumfeld mit flexiblen Arbeitszeitmodellen. Wir positionieren Themen, z.B. die Gestaltung der Schnittstellen der Technik (Human Computer Interaction oder Virtual and Augmented Reality) und investieren in eine förderliche Didaktik. Zudem gestalten wir die Zulassung so, dass sie auch Quereinsteiger:innen motiviert. Weil Vorbilder wichtig sind, setzen wir uns mit dem Projekt 25:25 das Ziel, bis 2025 mindestens 25 Prozent weibliche Dozierende zu haben. Unsere Studentinnen haben aus eigener Initiative Events für den Austausch mit Informatik-Frauen aus Industrie, Wirtschaft und Wissenschaft lanciert. Diese Events sind mittlerweile fester Bestandteil des Studienalltags und sehr gefragt – auch bei uns Dozentinnen.


Fehlen die Fachkräfte, die präventive Massnahmen ergreifen und Angriffe abwehren können, steigt das Risiko für Cyberangriffe.

Serge Frech, Geschäftsführer ICT-Berufsbildung Schweiz

Mit welchen Weiterbildungsangeboten sollten Cybersecurity-Experten sich à jour halten?

S.F.: ICT-Berufsbildung Schweiz führt die Berufsprüfung «Cyber Security Specialist mit eidgenössischem Fachausweis» und die höhere Fachprüfung «ICT Security Expert mit eidg. Diplom» durch. Der Fachausweis wurde in Kooperation mit der Armee und der Wirtschaft entwickelt und stösst auf grosses Interesse. Seit der Einführung 2019 hat sich die Anzahl Prüfungsteilnehmende jährlich verdoppelt.

S.H.: Das Angebotsspektrum ist in der Tat vielfältig geworden. Die Informatik ist vergleichsweise immer noch eine junge Disziplin, die sich in den letzten Jahren stark entwickelt hat. Um den heutigen Tätigkeiten und Berufen gerecht zu werden, braucht es dieses Spektrum. Als Hochschule sind wir zum Vorsprung verpflichtet und entwickeln unser Angebot fortlaufend. Wer hätte zum Beispiel vor einem Jahr daran gedacht, dass KI wie ChatGPT heute überall vorkommt. In dem Sinne passt es perfekt, dass dieses Jahr unsere ersten Absolventinnen und Absolventen des «Bachelor in Artificial Intelligence & Machine Learning» diplomiert werden.


Fazit

Das Fehlen von weiblichen Security-Expertinnen verschärft den Fachkräftemangel in diesem kritischen Bereich weiter. IT-Konzerne und Integratoren, die in ihre Mitarbeitenden investieren und diese langfristig halten wollen, haben immer die Nase vorn, besonders in anspruchsvollen Zeiten. Dazu kommt, dass sich die Konvergenz der Bereiche IT, OT, Risiko und Sicherheit fortsetzt. Nicht zu vergessen: Resilienz soll auch begeistern und IT-Security-Kunden möchten vertrauen. Eine Weiterbildung, selbst für bestehende Fachkräfte, seien es auch nur zusätzliche Sales- oder Marketing-Kompetenzen, lohnt sich daher immer.


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